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Bilderspaziergang
Charles Brizzis Blick auf das Ötztal

Dieser Bilderspaziergang lädt ausnahmsweise ein zu einem Rundgang durch das Archiv des Alpenvereinsmuseum in Innsbruck. Dort befinden sich seit Herbst 2023 eine Reihe von Aquarellen aus dem Ötztal, die aufgrund der geografischen Verbindung und der freundlichen Genehmigung nun hier als Ötztaler Bilderspaziergang vorgestellt werden können. 

Carl (Charles) Brizzi (1822–1878), Sohn des berühmten Hofsängers Antonio Giovanni Maria Brizzi aus Bologna (1770–1854) wurde in München geboren. Er war ein ebenso ambitionierter wie eigenwilliger Künstler, der sich in den späten 1860er-Jahren im Auftrag des Pfarrers und Gletscherforschers Franz Senn mit der topographischen und künstlerischen Erfassung der Ötztaler Alpen befasste. Ziel des Projektes war die Erstellung eines großformatigen, naturgetreuen Panoramas, das Besucherinnen und Besuchern zur geographischen Orientierung dienen sollte.

Charles Brizzi, Portrait um 1866 (Museum/Archiv des ÖAV)

Um die aufwändige Arbeit in großer Höhe zu erleichtern, ließ Senn im September 1868 auf dem sogenannten Kreuzspitzboden eine einfache Steinhütte errichten, die in zeitgenössischen Quellen auch als „Hôtel Brizzi“ bezeichnet wird. Diese Unterkunft diente Brizzi als Basislager für seine Studien und zeichnerischen Arbeiten in der Umgebung von Vent. In den Jahren 1868 und 1869 fertigte er dort Entwürfe zur Rundsicht von der Kreuzspitze sowie Ansichten von der Brizzi-Hütte selbst.

Mitte September 1869 bestieg Brizzi erneut die Kreuzspitze, um das Panorama vor Ort zu vollenden. Das Ergebnis entsprach jedoch nicht den Erwartungen des Auftraggebers: Senn kritisierte insbesondere die idealisierende und zu wenig naturalistische Darstellung der Gebirgsformen und Gletscher. Senn vergab den Auftrag neu – ein schwerer Schlag für Brizzi, der nun um seinen Ruf und seinen Lohn bangen musste.

Als Reaktion auf diese Zurückweisung begann Brizzi mit der Konzeption eines eigenen, umfassenden Werkes über die Ötztaler Alpen, das Text und Bild in einer interdisziplinären Synthese verbinden sollte. Sein Vorhaben zielte auf die Schaffung eines farbig gedruckten 360°-Panoramas sowie einer ergänzenden Reihe von Aquarellen, eingebettet in eine umfangreiche Landschaftsbeschreibung.

Dieses 160 Folioseiten umfassende Manuskript, datiert auf März 1873, dokumentiert Brizzis Bestreben, künstlerische und geowissenschaftliche Darstellung zu vereinen. Der Text ist offensichtlich von breiter Lektüre geprägt, bedient sich jedoch in erheblichem Umfang bereits publizierter Werke, insbesondere jener von Karl Sonklar (1816–1885) und den Gebrüdern Schlagintweit (geb. zwischen 1825 und 1833). Inhaltlich weist es weniger den Charakter eines klassischen Reiseführers auf, sondern bietet vor allem physiogeographische Beobachtungen und datengestützte Beschreibungen.

Dem Manuskript sind 24 aquarellierte Ansichten im Format 31 × 24 cm beigegeben, die konkrete, auch heute eindeutig identifizierbare Standorte im Ötz- und Schnalstal zeigen. Darunter befinden sich das großformatige „Kreuzspitz-Panorama A“ (4,14 m × 23,2 cm) sowie Darstellungen wie „Der Hairlach-Fall bei Umhausen“ (Stuibenfall) und „Vent, im Venterthale, gegen Norden“. Charakteristisch für Brizzis Darstellungsweise ist eine Spannung zwischen idealisierender Gebirgsauffassung und präziser Wiedergabe architektonischer und technischer Details – so berücksichtigt er etwa das auf einem Nebengipfel der Kreuzspitze errichtete Vermessungszeichen.

Heute gilt das Manuskript mitsamt den zugehörigen Aquarellen als bedeutendes Zeugnis des frühen Zusammenspiels von Kunst, Naturwissenschaft und Alpentourismus. Es dokumentiert den Übergang von romantischer Naturauffassung zu einer zunehmend empirisch-geographischen Betrachtungsweise und belegt Brizzis Beitrag zur visuellen Erschließung der alpinen Landschaft im 19. Jahrhundert.

Das Originalmanuskript blieb dank der Nachkommen von Rudolf Pischl, Inhaber der Telfer Lodenfabrik und Besitzer des Hotels Vent, (ehemaligem Widum und Wirkungsort von Franz Senn) in den 1920er-Jahren, erhalten. Es befindet sich seit 2023, dank einer großzügigen Schenkung der Familie Pischl im Museum/Archiv des Österreichischen Alpenvereins. Die Übergabe kam auf Initiative von Rupert Pischl kurz vor dessen Tod zustande.

(Veronika Raich, Museum/Archiv des Österreichischen Alpenvereins)