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Symposium Bau.Kultur.Landschaft
Nachbetrachtung

Am 15. und 16. Oktober 2021 fand im Ötztaler Heimatmuseum ein Symposium zu Fragen rund um Raumplanung und Ortsbildgestaltung im ländlichen Raum, und insbesondere historische Gebäude und Kulturlandschaften betreffend, statt. 50 Personen nahmen vor Ort in den Stuben den Museums teil, weitere 140 Personen nahmen die Gelegenheit wahr, via Online-Streaming dabei zu sein. 

Aufbauend auf die beiden Tagungen „Denkmaltagung 2016 “ in Osttirol und „Landschaft im Alpenraum 2018 am Grillhof wurden diesmal in den historischen Räumlichkeiten des Ötztaler Heimatmuseums Expertinnen und Experten zu wichtigen aktuellen Fragen geladen: Wieviel ist von historisch konnotierter Baukulturlandschaft noch vorhanden? Was bedeutet dieses Erbe für die Praxis und die Zukunft? Welche Herausforderungen entstehen für Gemeinden, welche Hilfestellungen gibt es? Wie können Konzepte zur Erhaltung dieser letzten bäuerlichen Ensembles aussehen, um zu sensibilisieren, zu schützen, zu erhalten und zu nutzen?

LR Johannes Tratter eröffnete das Symposium “Bau.Kultur.Landschaft”.

Nach einer Eröffnung der Veranstaltung durch LR Johannes Tratter berichteten insgesamt 12 Referentinnen und Referenten aus ihrer Praxis, stellten Best-Practice-Beispiele vor und zeigten aktuelle Entwicklungen auf.

Karl Wiesauer vom Tiroler Kunstkataster berichtete eingangs von einer mehrjährig angelegten Landesaufnahme des Kunstkatasters, im Rahmen derer ländlich geprägte Siedlungseinheiten und die umgebende Kulturlandschaft dokumentiert und bewertet wurden. Der Bestandskatalog zeigt heute ein ernüchterndes Bild über das allmähliche Verschwinden der bäuerlich-anonymen Architektur: Nur etwa ein Zehntel der Mitte des 20. Jahrhunderts dokumentierten Bausubstanz ist heute noch vorhanden – und ein Auftrag an Politik, Verwaltung, Bevölkerung.

Architekt Werner Burtscher widmete sein Referat dem Erhalt von Gebäude- und Landschaftsensembles. Dazu sei es notwendig, die Ästhetik dieser meist anonymen Architekturen zu erkennen. Ihre Eckpfeiler basieren auf Beobachtungen der Landschaft, des Klimas und des Lebens der Menschen, und sie sind für das Bauen in der Landschaft und in den Ortschaften heute noch gültig, während sie allerdings immer seltener erkannt und verwendet werden. In intakten Ensembles „sprechen“ die Häuser, Bäume, Einfriedungen und Landschaft im (Ein)klang zueinander und bilden einen wohl gestimmten Rahmen für die Menschen, welche in dieser Umgebung leben und geben einen wichtigen Teil für den (Kultur)raum ab und schaffen (gebaute) Identität – das untermalte Werner Burtscher durch eine Reihe beeindruckender Fotografien.

Prof. Kurt Luger von der Uni Salzburg widmete seinen Impuls dem “Schönheitsmarketing”, und zeigte die Metamorphosen von Kultur und Landschaft durch den Tourismus bzw. die Kulturindustrie auf. Luger führt in diesem Kontext den Begriff der “Erlebnisraumbewirtschaftung” ein, im Rahmen dessen dem kulturellen Erbe durch den Tourismus, durch soziale Veränderungen, durch die Suche nach nostalgischer Idylle neues Leben eingehaucht wird – oder kulturelles Erbe als feste Größe bzw. lebendige Tradition das Leben strukturiert.

Die Stubengespräche wurden auf Youtube, aber auch innerhalb des Museums gestreamt, damit die TagungsteilnehmerInnen allen Gesprächen beiwohnen konnten.

Nachmittags fand das Symposium in kleinerem Rahmen in den Museumsstuben seine Fortsetzung, die Diskussionen wurden allerdings in andere Museumsräume übertragen. Landeskonservator Walter Hauser moderierte zunächst ein Stubengespräch zum Thema “Modelle der Erhaltung und Nutzung”, an dem der Raumplaner Thomas Kranebitter, der Restaurator Markus Pescoller und die Architektin Daniela Zambelli, sowie der Initiator des Kulturlandschaftsfonds Montafon Leo Walser teilnahmen. Im Gespräch wurde deutlich: Die Erhaltung und Nutzung des baulichen Erbes unserer Kulturlandschaft ist nicht nur eine komplexe Herausforderung im Hinblick auf mögliche neue Nutzungen, sie erfordert überdies neue Wege der Benutzung, neue raumordnungsrechtliche Rahmenbedingungen und neue Wege
der Finanzierung. Die ReferentInnen spannten mit ihren Beispielen aus unterschiedlichen Regionen einen Bogen zwischen unterschiedlichen Konzepten, Chancen und Konflikten und zeigten innovative Möglichkeiten der Bestandsnutzung und Umnutzung, des Bewohnens und nachhaltiger touristischer Nutzung auf.

Direkt danach setzte das zweite Stubengespräch fort, das sich zum Thema “Inventar, Schutz, Grenzen” den institutionellen Implikationen widmete. Moderiert von Landeskonservator Walter Hauser diskutierten Peter Hollmann von der Abteilung Bau- und Raumordnungsrecht, Barbara Keiler vom Bundesdenkmalamt Vorarlberg, Robert Kolbitsch vom DAV und Karl Wiesauer vom Kunstkataster über Instrumente, Möglichkeiten und Implikationen wie Grenzen von Schutzmodellen zwischen Raumordnung, Denkmalschutz und Naturschutz stehen im Fokus dieses Stubengesprächs. Dabei wurde die Bedeutung des Sprichwortes “Schutz ist nicht alles, aber ohne Schutz ist alles nichts (mehr).” deutlich: Schutz bedeutet nicht nur Schutz, sondern auch Unterstützung und entsprechend rechtliche Rahmenbedingungen.

Abends wurde im Gedächtnisspeicher noch angeregt diskutiert.

Am Ende des ersten Tages bildete eine Podiumsdiskussion den Abschluss und führte die unterschiedlichsten Aspekte der vorangegangenen Impulse zusammen: Kurt Kapeller von der Abteilung Umweltschutz, Kurt Luger von der Uni Salzburg, Robert Ortner von der Abteilung Raumordnung, Bgm. Paul Sieberer aus Hopfgarten, Architektin Gertrud Tauber und Walter Hauser thematisierten die Chancen und Umsetzungsmöglichkeiten, die das neue SOG 2021 für die historische Kulturlandschaft in Tirol bedeuten kann.

Die Exkursion durch das Ötztal nahm auf den Jahrhunderte alten Gaislach Höfen oberhalb des Ventertals ihren Anfang.

Die Exkursion am zweiten Tag des Symposiums fokussierte auf die drei der vom Tiroler Kunstkataster kartierten historischen Kulturlandschaftsensembles: Als erste wurde die Hofgruppe Gaislach in Sölden besucht, sie liegt hoch über dem Ventertal an der obersten Grenze des Dauersiedlungsraumes auf rund 1.800 Metern Seehöhe und besticht durch das sehr naturnahe Umfeld mit landwirtschaftlichen Nutzflächen im felsigen Gelände. Die fortschreitende Entsiedelung und ein touristisch intensiv genutztes Schigebiet im weiteren Umfeld stellen eine dauerhafte Zukunft für Gaislach allerdings in Frage. Vor Ort wurden von Bgm. Ernst Schöpf, Karl Wisauer, Walter Hauser und den Besitzern Fam. Gritsch die  Perspektiven diskutiert: Welche Schutzziele für Objekt und Landschaft und welche Entwicklungsmöglichkeiten zwischen Raumordnung, Kulturgüterschutz und Tourismus kann es geben?

Historische Kleinensembles im alpinen Talsiedlungsraum sind eine Rarität geworden. Längenfeld besitzt mit dem Heimat- und Freilichtmuseum in Lehn ein solches Ensemble, es konnte sich durch seine Wirkmächtigkeit und aufgrund privater ehrenamtlicher Initiativen rund um den Ötztaler Heimatverein im Umfeld behaupten. Das Kleinensemble in Mühl hingegen hat seine Strahlkraft innerhalb weniger Jahre verloren – es stellte den nächsten Punkt der Exkursion dar: Der dortige Mühlbach bildete über Jahrhunderte die Lebensader einer bäuerlichen Gebäudegruppe mit Getreide- und Sägemühle. Heute bestimmen dort Neubauten das Umfeld, zuletzt ein 2021 neu errichtetes Wirtschaftsgebäude. Zurückgeblieben ist ein denkmalgeschütztes Einzelobjekt. Vor Ort diskutierten Vizebgm. Hannes Auer, Raumplaner Andreas Lotz, Karl Wiesauer und Walter Hauser: Weshalb stoßen hier Bau- und Raumordnungsrecht als lenkende Instrumente an ihre Grenzen? Wie müsste ein Zusammenwirken mit Kulturgüterschutz und Umgebungsschutz aussehen?

Thomas Schmarda vom Naturpark Ötztal erklärte die besondere Bedeutung des Piburger Sees für den Raum Piburg.

Die Exkursion fand ihren Abschluss in einem der letzten gewachsenen Dorfkerne in Tirol: Der Weiler Piburg liegt am Rande des Landschaftsschutzgebietes rund um den Piburger See mit einem besonders hohen landschaftsästhetischen Wert. Der malerische Weiler Piburg am Weg zum beliebten Erholungsgebiet am See und besitzt eine dörfliche Struktur, die bis in das 13. Jahrhundert zurückreicht. Seine Bauten sind gut gepflegt. Am Rande des Weilers, insbesondere am Weg zum See nehmen bauliche Eingriffe allerdings zu. Allmählich beginnt sich das dörfliche Ensemble vom naturräumlichen abzusondern. Es fehlen Regeln, in diesem Fall für kontextuelle bauliche Maßnahmen bei Neubauten. Wieder stellt sich die Frage eines zielgerichteten Zusammenwirkens von Kulturgüterschutz und Landschaftsschutz, die von Bgm. Hansjörg Falkner, Volkskundlerin und Bewohnerin Herlinde Menardi, Thomas Schmarda vom Naturpark Ötztal, Karl Wiesauer und Walter Hauser erörtert wurden.