Rudolf Gernat (1890–1949), ein Beamter aus Wien, war begeisterter Alpinist und Fotograf. In den 1930er Jahren unternahm er zahlreiche Touren in den Ostalpen und hinterließ wunderbare Fotografien von alpinen Landschaften. Dabei ging es ihm nicht immer um spektakuläre Bergpanoramen, sondern auch um die Dokumentation bergbäuerlicher Kulturlandschaften.
Die Ötztaler Museen präsentierten im Winter 2020/21 über 5 Wochen lang ein Tagebuch online, das Rudolf Gernat im Winter 1945/46 anlässlich eines 5wöchigen Urlaubs in Sölden verfasste und das sehr stimmungsvolle Einblicke in die Atmosphäre des ersten Nachkriegswinters im Ötztal gibt. Mehr zu Gernats Tagebuch kann hier nachgelesen werden: Aus dem Tagebuch eines Touristen
Im nachfolgenden Bilderspaziergang zeigen wir eine kleine Serie aus dem Konvolut von Rudolf Gernats Fotografien, die im Rahmen mehrerer Urlaube in den 1930er Jahren vor allem im Hinteren Ötztal aufgenommen wurden. (Edith Hessenberger)
Sölden, Weg auf den Granbichl Die Einzäunung markiert die Grenze zwischen den seit Jahrhunderten intensiv gepflegten und nach außen geschützten Wiesen, die zweimal jährlich gemäht wurden. Außerhalb der Einzäunung befinden sich die holprigen, weniger gepflegten Weidegründe für Groß- und teils auch Kleinvieh.
Sölden, Blick nach Norden auf die Weiler Rechenau und Schmiedhof Entlang den flachen Talböden kämpften die Bauern laufend mit der Ötztaler Ache. Man versuchte, dem Fluss Flächen abzuringen, gleichzeitig überflutete die Ache aber regelmäßig die wertvollen Fluren mit Steinen und Schlamm. Trockensteinmauern wurden in Kombination mit Baumstämmen und Erdwällen seit der frühen Neuzeit errichtet, um die Ache zu wehren.
Sölden Die Bewässerung der Fluren, vor allem der Wiesen, spielt in der inneralpinen Trockenzone eine große Rolle. Sölden verfügte (und verfügt bis heute) über ein ausgeklügeltes Bewässerungsystem (Waalsystem), im Rahmen dessen Wasser aus Bächen ausgeleitet und entlang den Hängen zu den benötigten Stellen geleitet wurde.
Sölden Die Grünlandwirtschaft war bis zum Einsetzen des Tourismus die Grundlage jedes Überlebens im Gebirge. Dazu gehört die Heuwerbung: Wiesen werden gemäht, das halb getrocknete Gras auf „Stanggern“ zum Dürren aufgehängt und dann für das Vieh als Futter während der langen Wintermonate in den Stadeln gelagert. Während des Sommers waren die markanten „Heumänner“, die durch das Aufstanggern des Heus entstanden, prägende Elemente in den alpinen Tallagen.
Sölden Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden auch im auf 1.370 m Höhe gelegenen Sölden Kartoffeln und sogar Getreide (Roggen, Gerste) angebaut. Diese seltene Aufnahme zeigt den Anbau, bzw. die Ernte dieser Kulturpflanzen auf Streifenfluren.
Sölden Mit dem Einsetzen des Tourismus Ende des 19. Jahrhunderts wurde die bisher rein landwirtschaftlich geformte Kulturlandschaft zunehmend neu geprägt. Den Bedürfnissen der Gäste entsprechend wurden Wanderwege angelegt, Aussichtspunkte geschaffen und beworben, und Rastbänke an den schönsten Orten aufgestellt. Diese Aufgaben übernahmen häufig sogenannte Verschönerungsvereine, einen solchen gab es in Sölden bereits vor dem 1. Weltkrieg.
Sölden, am oberen Granbichl, entlang des Wegs zur Windachalm Alle Flächen, die sich für die Grünlandwirtschaft eigneten, wurden seit dem mittelalterlichem Klimaoptimum durchgehend als Wiesen zur Heugewinnung für den Winter genutzt. Wo das erwirtschaftete Heu nicht ins Tal transportiert werden konnte, wurden Heupiller (kleine Holzbauten) errichtet, um das Heu bis zum Winter zu lagern. Dann wurde es auf dem Schnee ins Tal gezogen.
Sölden Im Zuge der historischen Berglandwirtschaft wurde wirklich alles genutzt. Die Äste und Zweige lebender Bäume wurden von unten nach oben genutzt: Die feinen Zweige und Nadeln wurden als Streu verwendet oder – ebenso wie Baumbartflechten – in strengen Wintern dem Futter beigemengt, um das Heu zu strecken. Im Frühjahr wurde das frische Grün der Lärchen von den heruntergehackten Ästen (oft die Arbeit der Kinder) abgestreift und dem Vieh wie Kraftfutter verabreicht.
Sölden Oberhalb der Waldgrenze beginnen die Sommerweidegründe für das Vieh, ausgenommen der Bergmahdflächen. Inmitten der Weiden liegen die Almen, in denen Mensch und Vieh Unterstand finden und in denen teils auch Milch verarbeitet wird. Die Waldgrenze wurde im Laufe der Jahrtausende, in denen diese Hochlagen beweidet wurden, sukzessive nach unten „gedrückt“.
Sölden Inmitten der von Mensch und Tier intensiv geprägten Kulturlandschaft finden sich häufig Dokumente der Volksfrömmigkeit: Marterln erinnern an ein Unglück oder Kreuzwege laden zu Gebeten ein. Mit dem Aufkommen des Alpinismus im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden zunehmend Gipfelkreuze errichtet.
Sölden Diese Aufnahme zeigt vier verschiedene Nutzungsformen traditioneller Berglandwirtschaft. Im Vordergrund zu sehen ist die bereits erwähnte Weidezone außerhalb der eingezäunten Wiesen. Innerhalb des hölzernen Lattenzaunes befinden sich die wertvollen Wiesen, durch die in diesem Fall auch eine aufgestelzte, hölzerne Pfahlrinne geführt wird. Durch sie wird Wasser zur Bewässerung trockener Flächen geleitet. Im Hintergrund zu sehen sind ausgedehnte Waldflächen, deren Holz zentral für Gebäude, Zäune, Möbel, Transportgeräte und das Beheizen von Häusern war.
Sölden An dieser natürlichen kleinen Lacke, im Hintergrund zu sehen der Nederkogel, ist gut verweilen. Heute liegt der größte Wert unserer historischen Kulturlandschaft in ihrer Funktion als Erholungsraum für uns Menschen.