Die Architektur prägt eine Landschaft auf einzigartige Weise. Über Jahrhunderte waren es alte Bauernhäuser, die das Ötztal prägten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts aber verschwanden sie. In den 1950er Jahren machte sich Hugo Atzwanger auf, um die alten architektonischen Zeitzeugen zu fotografieren und kam dabei auch ins Ötztal.
Hugo Atzwanger (* 1883 in Feldkirch † 1960 in Bozen) zog mit 18 Jahren mit seiner Familie nach Südtirol, wo er Zeit seines Lebens auch bleiben sollte. Nach anfänglichen Arbeiten als Maler, Grafiker und Restaurator entdeckte er in den 1920er Jahren die Technik der Fotografie für sich. Er wurde Mitarbeiter bei der von der Kulturkommission Bozen initiierten „Südtiroler Bauernhausaufnahme“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Grundlagenforschung des Amtes für Landwirtschaft nach Nordtirol berufen und durchwandert nunmehr als Volkskundler fünf Jahre lang die dortigen Täler. In den Jahren 1951 und 1953 kam er auch ins Ötztal – die nachfolgenden Bilder sind ein kleiner Auszug aus seinem Werk, das heute im Kunstkataster Tirol aufbewahrt wird.
Die teilweise seit Jahrhunderten existierenden Bauernhäuser stellen ein Zeugnis des Zusammenwirkens von Mensch und Natur dar. Sie täuschen nichts vor und ihre Konstruktion und die Baustoffe sind klar zu erkennen. Sie entstanden auf Grund jahrhundertelanger Erfahrung und wurden immer wieder den bäuerlichen Wohn- und Wirtschaftszwecken angepasst. Heute sind sie weitgehend verschwunden – aber vielleicht entdecken Sie bei einem der nächsten Spaziergänge durchs Ötztal einen dieser Zeitzeugen wieder?
Oetz, Hangausgleich in Trockenmauerwerk, 1951 Die Bodenbeschaffenheit tritt unter anderem in einem bedeutenden Unterbau in Erscheinung, den viele an Steilhängen gebaute Häuser aufweisen. Um eine genügend große, ebene Bodenfläche für die Wohn- und Wirtschaftsräume zu gewinnen, musste der Hang abgegraben oder Unterbauungen geschaffen werden. Häufig ist letzteres anzutreffen, wodurch Häuser entstanden, die von einer Seite betrachtet hoch erscheinen, und von der anderen Seite gesehen aber nur wenige Geschosse aufweisen.
Sölden, In Grün, Wetterseite, 1951 Da das Klima im Gebirge stark variieren kann, muss sich der Hausbau auch diesen Umständen anpassen, was in verschiedener Art und Weise geschieht. Oft rücken die einzelnen Wohnhäuser eng aneinander, um sich gegenseitig Schutz zu bieten und der Hauseingang wurde an die von Wind und Wetter am wenigsten bedrohte Seite verlegt und die Fenster auf der Wetterseite sind kleiner, treten spärlicher auf oder werden ganz weggelassen. Die Hauswand auf dieser Seite wurde zusätzlich mit einer Bretterverschalung geschützt.
Längenfeld, „Athasas“, Massivbau, 1951 An den früher viel ausgedehnteren Ackerbau erinnern die Speicher oder Kästen, die als gesonderte Bauwerke neben den Bauernhöfen stehen. Die Kästen dienten als Speicher für Vorräte, vor allem Korn und getrocknetes Fleisch, und zur Aufbewahrung von Kleidungsstücken.
Sölden, Pfostenspeicher, Holzbau, 1953
Sölden, Feldstall, 1951 Einige Bergbauern, deren Wiesen an steilen Hängen oder weiter entfernt waren, errichteten eigene, dezentralisierte und meist im untersten Bereich der Wiese gelegene Stall- und Wirtschaftsgebäude. Diese Feldställe wurden in der Regel in Blockbauweise errichtet: der Stallbereich in Kantblockbauweise und der Stadel in Rundblockbauweise.
Oetz, Backofen, 1951 Neben den bereits erwähnten Gebäuden gibt es noch weitere, eigenständige Bauwerke wie den Backofen oder die Mühle.
Sölden, Backofen im Wohnhaus, 1951 Der Großteil der Backöfen ist jedoch im Bereich der Küche in das Wohnhaus integriert.
Sölden, Mühle, 1951
Oetz, Dachlandschaft, Stufenreich, 1951 Als Deckstoff für das Dach diente Holz, das in Form von Brettern oder Schindeln befestigt wurde. Am weitesten verbreitet ist das Scharschindeldach, bei dem bis zu ein Meter lange Bretter (Schindeln) in Scharen auf den Latten des Dachstuhls mit Nägeln angebracht wurden.
Sautens, Pirchet, Fassadenmalerei, 1953 Je nach regionalen Gewohnheiten, nach sozialer Stellung und dem individuellen Gestaltungswillen des Bauherren, zeigt sich sein Repräsentationsbedürfnis nach Außen unter anderem in der Fassadenmalerei. Am häufigsten sind Darstellungen mit religiösem Inhalt, geometrische Architekturmalerei in Form von Eckquaderbemalungen, figürliche Darstellungen, dekorative Fenster- und Türumrahmungen, Friese und Ornamente anzutreffen.
Umhausen, Bundwerkgiebel mit vorgelagertem Ziergiebel, 1953 Außer dem malerischen Schmuck fällt noch die kunstvolle Gestaltung des Bundwerkgiebels und des ihm vorgelagerten Ziergiebels auf.
Oetz, Erker, 1953 Eine weitere Fassadenzier ist der Erker, der vom städtischen Haus übernommen und dem Bauernhaus angepasst wurde. Neben der Erweiterung der Wohnfläche und der besseren Belichtung, war er in erster Linie ein weiteres repräsentatives Element.
Sölden, Balkon „Fontana“, 1951 Ein letztes, in den Ötztaler Bauernhäuser nicht allzu dominierendes Gestaltungselement sind die Balkone. Grundsätzlich sind Balkone an Holzbauten oder Gebäuden in gemischter Bauweise größer und häufiger anzutreffen als an gemauerten Häusern. Die Anbringung der Balkone erfolgt vorzugsweise im Bereich des Giebeldreiecks.
Sautens, Haderlehn, Teilung entlang der Firstlinie, 1951 Im 14. Jhdt. endete aus Landnot die Neugründung von Siedlungen, denn ein weiterer Ausbau in größerem Maße war nicht mehr möglich. Da die Bevölkerung aber ständig zunahm, wurden die alten Bauerngüter nach dem Realteilungsrecht aufgeteilt, das jedem Nachkommen eines Hofbesitzers ein Teil vom Grundstück und vom Hof zukommen ließ.
Umhausen, „Hansls“, Teilung nach Geschossen, 1951
Sölden, Schmiedhof, 1953 Seitenflurhäuser sind meist giebelseitig, seltener traufseitig erschlossen und weisen im Erdgeschoss nur drei Räume auf: Küche und Stube, meist entlang der Firstrichtung des Hauses hintereinandergelegen und nicht direkt miteinander verbunden, und parallel dazu der Flur.
Oetz, Seitenflurhaus Mit offenem Dachstuhl, der zum Trocknen von Mais, Bohnen und Früchten verwendet wurde, 1953
Längenfeld, „Sarrasser“, 1951 Realgeteilte Häuser sind – jede Wohneinheit einzeln betrachtet – meist Seitenflurhäuser.
Längenfeld, Flurküche/Eckflurgrundriss, 1951 Eine weitere Form des Grundrisses ist die des Flurküchenhauses, bei dem ein breiter Flur zugleich als Küche dient. Der Eingang liegt in der Regel an der Traufseite und führt in die Flurküche, die sich quer zur Firstrichtung des Hauses erstreckt. An der Längsseite des Flurs sind die Stube und eine Schlafkammer angeordnet, die im vorderen Teil des Hauses liegen. In weiterer Folge wurde ein Teil der Flurküche durch eine Wand abgetrennt und zu einem Eckflur gemacht.
Sölden, Mittelflurgrundriss, 1953 Bei Gebäuden mit Mittelflurgrundriss sind sämtliche Wohnräume vom in der Mitte des Hauses gelegenen Flur erreichbar, der das Gebäude in seiner gesamten Länge durchzieht. Die Küche befindet sich meist hinter der Stube oder, getrennt durch den Flur, gegenüber.
Längenfeld, Paarhof, 1951 Der Paarhof besteht aus zwei Gebäuden, dem Wohn- und dem Wirtschaftsgebäude, die annähernd gleich groß und mit etwas Abstand versetzt zueinander sind. Ein Vorteil des Paarhofes besteht darin, dass sich diese Hofform gut für steile Hanglagen eignet.
Längenfeld, Zwiehof, 1951 Als Übergang vom Paarhof zum Einhof tritt der Zwiehof auf. Bei dieser Hofform stehen in der Regel Wohn- und Wirtschaftsgebäude parallel nebeneinander, die im Laufe der Zeit immer näher zusammenrücken um schlussendlich zu einem Einhof unter einem Dach umgestaltet zu werden.
Umhausen, Einhof längsgeteilt, 1951 Neben den bereits erwähnten Hofformen kommt im Ötztal auch der Einhof vor. Sämtliche frühere Einzelgebäude sind hier unter einem Dach vereint. Bei dieser Hofanlage lassen sich zwei grundlegende Typen unterscheiden: das längs- und quergeteilte Gebäude.
Längenfeld, Einhof quergeteilt, 1951 Neben den bereits erwähnten Hofformen kommt im Ötztal auch der Einhof vor. Sämtliche frühere Einzelgebäude sind hier unter einem Dach vereint. Bei dieser Hofanlage lassen sich zwei grundlegende Typen unterscheiden: das längs- und quergeteilte Gebäude.
Längenfeld, Astlehn, Mittertennhof, 1951 Einen speziellen Typus des Einhofs stellt der Mittertennhof dar, bei dem der Wohntrakt durch die Tenne vom Wirtschaftsgebäude getrennt wird.
Längenfeld, Kantblockbau, 1951 Die Verwendung von Holz hängt hauptsächlich von pflanzengeographischen Bedingungen ab, das gerade gewachsene Holz der Fichte zum Beispiel eignet sich besonders gut für den Blockbau, der bei den damaligen Bauten vorzugsweise zum Einsatz kam. An die Stelle der Rundstämme traten im Laufe der Zeit Schrotwände, die aus viereckig behauenen Hölzern entstanden.
Längenfeld, Rundblockbau, 1951 Die archaische Bauweise, bei der das Holz rund belassen wurde, ist meist nur noch im Oberteil der Wirtschaftsgebäude zu finden.
Sölden, Ständerbohlenbau, 1951 Eine Sonderform des Ständerbaues ist der Ständerbohlenbau, bei dem die Räume zwischen den Ständern mit Bohlen ausgefüllt und in diese eingenutet werden. Diese Bauweise kommt hauptsächlich beim Bau Städeln und Ställen vor.
Sölden, Puit, Eckverbindungen, 1951 Da vertikale Bauteile fehlen, muss auf die Konstruktion der Eckverbindungen, die in Form von Überkämmungen oder von wandbündigen Ecküberblattungen ausgeführt sein können, besonders viel Wert gelegt werden.
Sölden, Steinbau, 1951 Die Kulturtradition, die Verfügbarkeit und vor allem landesherrliche Verordnungen waren maßgeblich für die Dominanz von Steinbauten in gewissen Regionen verantwortlich. Nach Brandkatastrophen wurden Gemeinden oder einzelne Höfe meist auch nicht mehr in der ursprünglichen Bauweise errichtet, sondern es wurde ein Wechsel des Baustoffes von Holz auf Stein bevorzugt.
Umhausen, „Kajetan“, Kantblockbau verputzt, 1951 Manche Wohngebäude wurden später verputzt oder zum Teil mit einer Mantelmauer versehen, was wahrscheinlich auf den Schutz vor Feuer und Kälte zurückzuführen ist. Aber auch die Bemühung, ein repräsentatives, gemauertes Haus vorzutäuschen, dürfte einer der Gründe für ein scheinbar gemauertes Haus gewesen sein.
Sölden, Mischbauweise, 1951 Die Kombination von Stein- und Holzbau wird als Mischbauweise bezeichnet. Es kann entweder das gesamte Erdgeschoss oder nur die Küche und eventuell noch der Hausgang gemauert sein und die restlichen Räume sind aus Holz errichtet.
Längenfeld, Fenster, „Sarrasser“, 1951 Von den vielen Umgestaltungen, die das Bauernhaus im Laufe der Jahrhunderte erfuhr, waren die Fenster am häufigsten davon betroffen. Glas im Fenster kam erst sehr viel später auf, davor wurden die Fenster auf der Innenseite mit einem verschiebbaren Laden oder von außen mittels eines Balkens verschlossen. Als dann die Verglasung der Fenster üblich wurde, wurden zunächst Schubfenster errichtet, die beim Öffnen in die Wand eingeschoben wurden. Durch den Einbau von Glas fiel auch bei geschlossenem Fenster Licht in den Raum.
Längenfeld, Fenster, 1951 Die ursprünglichsten Häuser kannten keine Fenster, erst später wurden dann kleine quadratische oder rechteckige Öffnungen in die Holzwände geschnitten. Die Fensteröffnungen wurden sehr klein gehalten, damit beim Öffnen des Fensters nicht allzu viel kalte Luft eindringen konnte. Die Fenster konnten nicht zur Gänze geschlossen werden, da ansonsten der Raum völlig dunkel war.