Am Abend des 27. Mai 1931 wurde hinter Obergurgl in den Bergen der Niedergang eines seltsamen Flugobjekts beobachtet. Wer damals das Weltgeschehen verfolgte, war informiert: Es konnte sich nur um den Gasballon handeln, in dem der Physiker Prof. Auguste Piccard und sein Assistent Paul Kipfer vor kurzem in Augsburg gestartet waren, um in die Stratosphäre aufzusteigen und dort mit ihren Messgeräten ihre Untersuchungen fortzusetzen.
Die Landung war im Bereich Füssen oder Freiburg geplant, und da man nicht wusste, ob und wo sie glücken würde, warteten die Medien intensiv auf die ersten Sichtungen des Ballons auf der Rückkehr zur Erde. Der Zufall trieb den Ballon Piccards auf den Gurgler Ferner – und machte das abgelegene Bergdorf mit einem Schlag weltberühmt. Mehr zu den Details der Landung finden Sie hier.
In der nachfolgenden Bilderstrecke kann der Rummel dieser Tage rund um Piccard und Kipfer nachvollzogen werden. Zahlreiche Journalisten reisten nach Obergurgl und rangen den Wissenschaftlern Interviews ab. Gendarmerie und eine Bergungstruppe des Österreichischen Alpenjäger-Regiments stiegen mit den Wissenschaftlern zwei Tage später nochmals zum Ballon auf, um bei der Bergung der Instrumente, des Ballons, sowie des Inhalts der Stratosphärenkugel zu sichern und ins Tal abzutransportieren. Nachdem die Piccard und Kipfer wenige Tage später abgereist waren, blieb die Kugel noch fast ein Jahr liegen, weil ihr Abtransport kaum möglich erschien. Während der Sommermonate pilgerten zahlreiche Touristinnen und Touristen auf den Gurgler Ferner, um sich in und auf der Stratosphärenkugel fotografieren zu lassen oder ihre Initialen in die Kugel zu ritzen.
Der Abtransport der Gondel zurück nach Belgien, wo Piccard seine Labors hatte, erfolgte erst im April 1932 – offenbar entgegen dem dringenden Wunsch der Gurgler, für die die neue Sehenswürdigkeit zum Wirtschaftsfaktor geworden war. In den Innsbrucker Nachrichten wurde – etwas augenzwinkernd – am 5. April 1932 festgehalten:
„Dozent Dr. Kipfer, der Begleiter Prof. Piccards auf seinem Stratosphärenflug, ist in Innsbruck eingelangt und wird an der Bergungsarbeit teilnehmen; mit ihm kam auf Herr Destappes, der Konstructeur der Gondel, aus Brüssel. Als zu Ende des vorigen Jahres Dr. Kipfer mit dem Obmann des Skiklubs Gurgl, Schulleiter Falkner, Ermittlungen anstellte, ob der Abtransport der Gondel vom Gurgler Gletschernde möglich sei, kam man zu der Meinung, die Schwierigkeiten seien zu groß, der Gefahren zu viele, um das Wagnis unternehmen zu können und auch Prof. Piccard verzichtete damals in einem Schreiben nach Gurgl auf die Versuche, die Gondel zu bergen. Prof. Piccard erklärte, Menschen dürften in keinem Falle zu Schaden kommen, eher sei der Gedanke der Bergung aufzugeben. Und dennoch wird jetzt das große Wagnis unternommen. Den Anlaß hiezu gab wohl der Wunsch der Universität Brüssel nach dem Besitze dieses Beweismittels für den ersten Flug in die Stratosphäre und die abenteuerliche Landung auf einem der größten Gletscher Tirols. Die Frage der Bergungsmöglichkeit wurde also neuerdings ernstlich aufgeworfen und die Vorbereitungen hiezu begannen diesmal ohne die Ratschläge der Gurgler. Die ganze Angelegenheit wurde Alpinisten übertragen, der Baumeister Senn übernahm die Arbeiten um 2000 Schilling. Die Gefährlichkeit des Unternehmens wird von den leitenden Männern erkannt; man hat nicht so sehr Bedenken wegen des Transportes bis zum Langtalereck, sondern wegen der Schwierigkeiten in horizontalen Strecken. Im Oetztale hält man nach wie vor an der Meinung fest, der Transport sei undurchführbar.“
Entgegen allen Hoffnungen im Ötztal wurde die Piccard-Gondel im April 1932 tatsächlich zurück nach Brüssel transportiert, wo sie heute im Musée Royal de l’Armée in Brüssel aufbewahrt wird. (Edith Hessenberger)
Abschließend wollen wir euch diesen schönen Bericht aus den britischen Medien von 1931 nicht vorenthalten, der unmittelbar nach Prof. Piccards und Dr. Kiplers Notlandung in Obergurgl aufgenommen wurde: